Erlahmter Friede

Von Andreas Boueke · · 2001/07

Der Friedensprozess und die Demokratisierung in Guatemala schleppen sich nur mühsam voran. Kleine Erfolge gibt es vor allem bei der Selbstorganisierung der Menschen.

Im guatemaltekischen Hochland liegt eine Farm, die den Namen des katholischen Heiligen Franz von Assisi trägt. Die Finca San Francisco wurde vor 20 Jahren von einem Guerillakommando überfallen. Damals töteten die Rebellen den Gutsverwalter und später auch den Besitzer. Doch die Menschen auf der Finca San Francisco leben und arbeiten heute noch immer in erbärmlichen Verhältnissen.

Die Grundmauern der niedergebrannten Hacienda geben Zeugnis von den Kämpfen der achtziger Jahre. Keine fünfhundert Meter entfernt von den Ruinen des Verwaltungsgebäudes des Landgutes stehen Baracken, die sich nur wenig von den Unterkünften der Mayasklaven im siebzehnten Jahrhundert unterscheiden: achtköpfige Familien leben auf zehn Quadratmeter nacktem Erdboden, umgeben von baufälligen Lehmwänden. Es gibt keine Latrinen, keine sauberen Kochgelegenheiten.

Die Mayas, die in der Umgebung der Finca leben, haben nur wenige Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Entweder sie verlassen ihre Gemeinden und ziehen während der Erntesaison auf die großen Zuckerplantagen der Pazifikküste, wo sie bis zu umgerechnet hundert Schilling am Tag verdienen können, oder sie bleiben in den Bergen und arbeiten auf den Fincas. Dort verdienen sie selten mehr als die Hälfte davon.

Die Guerilla wollte diese Ausbeutung beenden und die Machtverhältnisse im Land von Grund auf verändern. Eine ihrer Hauptforderungen war jahrzehntelang die Durchführung einer umfassenden Landreform. Trotzdem haben sich die Lebensbedingungen der SaisonarbeiterInnen auf der Finca San Francisco seit dem Ende des Kriegs kaum verändert. Alberto Coylu, ein jüngerer Arbeiter, ist enttäuscht. „Die Situation hier ist schlecht“, sagt er. „Wir leben im Elend. Nichts wird besser. Wir müssten uns organisieren, aber die Leute wollen nicht. Sie haben Angst vor einem neuen Krieg.“

Vor beinahe fünf Jahren, Ende 1996, haben Vertreter der guatemaltekischen Regierung und der Guerillaführung die Schlussakte einer Reihe von Friedensabkommen unterschrieben. Obwohl kein einziger Vertreter oder eine Vertreterin der über 20 Maya-Völker Guatemalas am Verhandlungstisch saß, geht der Vertragstext ausführlich auf deren Belange ein.

Doch die Betrachtung der sozialen Realität im Lande wirkt noch immer ernüchternd. Große Teile der Maya-Bevölkerung haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Schätzungen internationaler Entwicklungsorganisationen zufolge leben mehr als siebzig Prozent der Mayas in absoluter Armut. Sie können den täglichen Kalorienbedarf nicht regelmäßig decken. In den Institutionen des Staates ist die Bevölkerungsmehrheit der Mayas deutlich unterrepräsentiert.

Die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú ist skeptisch, ob die Friedensabkommen auf dem Papier wirklich zu einer Verbesserung des Lebensstandards führen werden. „Ich glaube nicht, dass der Friedensvertrag die Maya-Bevölkerung stärkt. Eine Diskussion über die Rolle der Maya-Bevölkerung ist wichtig, doch jede Diskussion stößt an ihre Grenzen, sobald sie keine praktischen Lösungen produziert. Seit Jahrhunderten wird über die Situation der indigenen Völker diskutiert. Ich befürchte, dass die Mayas zu Objekten einer Diskussion von Nicht-Mayas werden könnten, ohne dass sich an den diskriminierenden Praktiken etwas ändert.“

Rigoberta Menchú stammt selber aus dem Mayavolk der K’iche‘. Sie setzt sich seit Jahren für eine Anerkennung der Rechte der indigenen Völker der Welt ein. Trotz aller Skepsis bedeutet das Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerillaführung auch für die Nobelpreisträgerin einen wichtigen Schritt in Richtung einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Maya-Bevölkerung in Guatemala. „Ich bin eine realistische Frau und ich weiß, dass die Maya heute und morgen mit der gleichen Hoffnung daran arbeiten müssen, die interkulturelle Zukunft zu konstruieren, von der wir träumen. Das fundamentale Problem des Rassismus ist jedoch nicht nur die Diskriminierung – der Glaube, dass ein Maya minderwertig ist. Vielmehr findet sich der Rassismus auch in populistischen Aussagen zur Unterstützung der indigenen Völker. Viele Institutionen haben ihren Diskurs verbessert, aber praktisch hat sich nur wenig geändert.“

Der Friedensprozess ist erlahmt. Eigentlich sollte er für die arme Bevölkerungsmehrheit neue Möglichkeiten der Entwicklung öffnen und zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme führen. Doch die Partei des ehemaligen Präsidenten Alvaro Arzú, der die Friedensabkommen unterzeichnet hat, ist längst abgewählt. Zwar beteuert sein Nachfolger, Alfonso Portillo, auf der internationalen Bühne immer wieder, dass er die Abkommen als staatliche Verpflichtungen versteht, in der realen Politik jedoch spiegelt sich das nur matt wieder.

Die Regierungspartei FRG (Republikanische Front Guatemalas) ist mit internen Machtkämpfen beschäftigt. Zwei Flügel stehen sich gegenüber, der des Präsidenten und der des Ex-Diktators Ríos Montt. Dringenden Problemen wie der ungleichen Landverteilung, dem niedrigen Steueraufkommen oder dem korrupten und ineffizienten Justizwesen wird nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt.

Fast seine gesamte politische Karriere über ist der Machtpolitiker Portillo in linken Strömungen mitgeschwommen, bis er vor sechs Jahren das erste Mal als Präsidentschaftskandidat der rechten, militärnahen FRG aufgetreten ist. An seiner populistischen Rhetorik hat er seither wenig geändert. Weiterhin stellt er sich gerne als Fürsprecher armer Bevölkerungsschichten dar. Und wirklich: In sein Kabinett hat er auch zahlreiche Minister berufen, die eher dem gemäßigten oder gar linken Spektrum der guatemaltekischen Politik zugeordnet werden können. In der Praxis aber fehlt es seiner Mannschaft an einem überzeugenden Programm und parteiintern an der notwendigen Macht, um sich gegen den starken Flügel von Ríos Montt durchzusetzen.

General Efraín Ríos Montt gilt als einer der Hauptverantwortlichen für Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung während der achtziger Jahre. Trotzdem ist er heute als Kongresspräsident einer der mächtigsten Männer der guatemaltekischen Politik. So fällt es schwer, auf der Regierungsebene positive Entwicklungen in Sachen Friedensprozess zu erkennen.

Positive und interessante Entwicklungen finden eher in den Gemeinden statt. Zum Beispiel sind zahlreiche Mayas in ein Bürgermeisteramt gewählt worden. In einigen Regionen schließen sich immer mehr Menschen neu gegründeten Kooperativen oder autonomen BürgerInnenkomitees an, ohne sich wie früher vor Übergriffen durch Soldaten fürchten zu müssen. Die haben sich weitgehend in ihre Kasernen zurückgezogen.

Seit dem Friedensschluss befindet sich die Armee in einer Legitimationskrise. Ab und zu werden Rufe nach militärischer Intervention im Grenzkonflikt mit dem Nachbarland Belize laut, ansonsten aber bemüht sich die Armeeführung um ein zurückhaltendes Auftreten der Institution. Während die alten Generäle nicht dauernd Zielscheibe von Menschenrechtsorganisationen sein möchten, die sie wegen ihrer Rolle während des Bürgerkriegs anklagen, bauen viele der jüngeren Offiziere an einer neuen Fassade für die Armee. Sie soll aussehen wie eine moderne, demokratisch kontrollierte Institution. Doch der Eindruck wird immer wieder durch Berichte von Menschenrechtsverletzungen getrübt.

Die Kinderrechtsorganisation „Casa Alianza“ beklagt eine Zunahme an Verletzungen der Rechte von Straßenkindern. In zahlreichen Fällen werden Polizisten verantwortlich gemacht, insbesondere wenn es sich um Vergewaltigungen von Straßenmädchen handelt. Gleichzeitig schafft es die Polizei aber nicht, den wachsenden Organisationsgrad krimineller Banden zu stoppen.

Eines ihrer letzten Opfer war der deutsche Geschäftsführer der Firma Schering in Guatemala. Er wurde entführt und zwei Wochen später tot aufgefunden. Auf Grund ihres fehlenden Vertrauens in die Zuverlässigkeit der Polizei hatte die Familie diese gar nicht erst eingeschaltet.

Früher blieben solche Menschenrechtsverletzungen im Verborgenen. Auch heute wird in den guatemaltekischen Medien über politisch motivierte Verbrechen meist nur dann berichtet, wenn das Opfer aus dem Ausland kommt oder im öffentlichen Leben Guatemalas eine hervorgehobene Rolle spielt. Zumindest kommt es in einigen solchen Fällen zu Gerichtsverhandlungen. Die verlaufen jedoch nicht selten ohne Verurteilung im Sande.

Der Autor arbeitet seit acht Jahren als freier Journalist in Mittelamerika. Im Horlemann-Verlag, Bad Honnef, erschien sein Buch „Kaleidoskop Mittelamerika – Reportagen und Informationen“.

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